Die automatisierte Vermögensverwaltung in Deutschland durchläuft einen tiefgreifenden Wandel, der die ursprünglichen Erwartungen an die digitale Revolution im Finanzsektor grundlegend auf den Prüfstand stellt. Was 2013 als vielversprechende Innovation mit dem Versprechen startete, Vermögensverwaltung für jedermann zugänglich zu machen, hat sich zu einem komplexen Markt entwickelt, in dem nur die anpassungsfähigsten Anbieter überleben. Während einige prominente Namen wie Vanguard und die Targobank sich bereits aus dem klassischen Robo-Advisory-Geschäft wieder zurückgezogen haben, entwickeln andere Anbieter ihre Geschäftsmodelle kontinuierlich weiter und erweitern ihr Angebot um innovative Finanzdienstleistungen weit über die ursprüngliche automatisierte Vermögensverwaltung hinaus.
Markus G
26. Oktober 2017
26. Oktober 2017
Die digitale Revolution in der Finanzbranche markierte 2013 mit dem Start der ersten Robo-Advisor in Deutschland den Beginn einer neuen Ära. Was mit Vaamo als Pionier begann und schnell durch Anbieter wie Scalable Capital, Quirion und Whitebox ergänzt wurde, versprach nicht weniger als eine demokratische Revolution des Vermögensmanagements. Die ursprünglichen Prognosen verschiedener Unternehmensberatungen wie Oliver Wyman und Morgan Stanley sahen bis 2025 ein verwaltetes Vermögen von bis zu 200 Milliarden Euro in Deutschland voraus. Diese optimistischen Erwartungen haben sich mit heutigem Stand als deutlich überzogen erwiesen.
Die Konsolidierung des Marktes zeigt sich besonders deutlich an konkreten Beispielen. Scalable Capital, das 2016 mit großen Ambitionen startete und zeitweise über 2 Milliarden Euro im Robo-Advisory verwaltete, vollzog 2023 eine strategische Neuausrichtung. Der Rückzug aus dem klassischen Robo-Advisory-Geschäft zugunsten des Neo-Broker-Modells markierte einen Wendepunkt. Auch der britische Anbieter Nutmeg, der mit einer Deutschland-Expansion liebäugelte, zog sich nach einer Übernahme durch JPMorgan vollständig aus dem europäischen Markt zurück.
Bemerkenswert ist auch das Schicksal kleinerer Anbieter: Die Geschichte von Vaamo illustriert die Herausforderungen des Marktes besonders eindrücklich. Nach einem vielversprechenden Start musste das Unternehmen schließlich von Moneyfarm übernommen werden. Nur um sich dann nach knapp 15 Monaten selbst wieder aus dem deutschen Markt zurückzuziehen und sich auf seinen Heimatmarkt Italien zu konzentrieren.
Liqid wiederum vollzog einen bemerkenswerten Strategiewechsel und fokussiert sich heute ausschließlich auf vermögende Privatkunden, was die Schwierigkeit verdeutlicht, im Massenmarkt profitabel zu operieren.
Der amerikanische Anbieter Wealthfront zog nach intensiver Marktanalyse sogar seine bereits weit fortgeschrittenen Expansionspläne für den deutschen Markt komplett zurück. Auch das langersehnte Angebot der Schweizer Großbank UBS wurde nicht realisiert.
Die Anpassung der Geschäftsmodelle erfolgt auf verschiedenen Ebenen, wie sich am Beispiel führender Anbieter deutlich zeigt. Quirion, als Tochter der Quirin Privatbank, hat sein Angebot fundamental erweitert. Das Unternehmen geht dabei weit über die klassische ETF-basierte Vermögensverwaltung hinaus. Besonders bemerkenswert ist die Integration von Festgeldanlagen, bei denen Kunden aktuell Zinssätze von bis zu 4,02% pro Jahr erzielen können. Diese Erweiterung kam genau zum richtigen Zeitpunkt, als viele Anleger nach der Zinswende wieder verstärkt nach festverzinslichen Anlagemöglichkeiten suchten.
Im Bereich der Investmentstrategien hat Quirion sein Angebot um thematische Schwerpunkte erweitert. Dabei liegt ein besonderer Fokus auf zukunftsweisenden Technologiebereichen wie Künstlicher Intelligenz und Cybersecurity. Diese Themenportfolios ermöglichen es Anlegern, gezielt in Wachstumssegmente zu investieren, ohne sich dabei in einzelne Aktien vertiefen zu müssen. Die Integration von Nachhaltigkeitsportfolios mit verschiedenen ESG-Ausrichtungen reagiert auf die steigende Nachfrage nach verantwortungsbewussten Anlagemöglichkeiten. Besonders innovativ ist dabei der Ansatz, verschiedene Abstufungen von Nachhaltigkeitskriterien anzubieten, sodass Kunden die für sie passende Balance zwischen Rendite und Nachhaltigkeit finden können.
Gleichzeitig hat Quirion erkannt, dass reine Digitallösungen nicht für alle Kunden optimal sind. Daher wurde eine hybride Beratungsstruktur entwickelt, die digitale Effizienz mit persönlicher Betreuung verbindet. Kunden haben nun Zugang zu festen Ansprechpartnern, die sie bei komplexeren Fragen unterstützen, während das Tagesgeschäft weiterhin automatisiert abläuft.
Whitebox hingegen hat einen anderen Weg eingeschlagen und setzt auf weitreichende Individualisierung seiner Dienstleistungen. Das Unternehmen ermöglicht seinen Kunden, die Portfoliozusammensetzung nach persönlichen Präferenzen und Ausschlusskriterien anzupassen. Diese Flexibilität geht weit über die üblichen Standardlösungen hinaus. Ein besonderer Mehrwert liegt in der Integration von Bestandsdepots in die Gesamtstrategie. Dabei werden bereits vorhandene Investments analysiert und in die Portfoliooptimierung einbezogen, was besonders für Kunden mit gewachsenen Vermögensstrukturen attraktiv ist.
Die aktive Steuerung der Aktienquote basierend auf quantitativen Marktsignalen stellt eine weitere Innovation dar. Dabei nutzt Whitebox komplexe Algorithmen, um Marktrisiken frühzeitig zu erkennen und die Portfoliostruktur entsprechend anzupassen. Für Anleger mit regelmäßigem Liquiditätsbedarf wurden spezielle Strategien entwickelt, die auf die Generierung regelmäßiger Ausschüttungen ausgerichtet sind. Diese berücksichtigen sowohl Dividendenerträge als auch gezielte Umschichtungen zur Sicherstellung kontinuierlicher Auszahlungen.
Was aber besonders ins Gewicht fällt, ist das Thema Performance. Einem Punkt mit dem anfänglich jeder Roboadvisor auf Kundenfang gegangen ist. Denn die Algorithmen sollte für eine konstante Rendite-Entwicklung sorgen, selbst in volatilen Zeiten. Versprechen kann man viel, aber ein solches Versprechen zu halten ist es etwas ganz Anderes. Und genau da zeigen sich höchst interessante Entwicklungen bei der Performanceanalyse der verschiedenen Anbieter im Zeitraum 2019-2023. Bei den ausgewogenen Portfolios mit einer Aktienquote von 50-60% zeigt sich eine bemerkenswerte Spreizung der Ergebnisse. Die besten Anbieter erzielten eine durchschnittliche jährliche Performance von 6,2% nach Kosten, während die schwächsten Anbieter lediglich 2,1% erreichten. Der Median lag bei 4,3% nach Kosten.
Besonders aufschlussreich ist die Erkenntnis, dass komplexere Algorithmen keineswegs automatisch zu besseren Ergebnissen führen. Im Gegenteil: Die konstantesten Renditen wurden oft von Anbietern erzielt, die auf klassische, breit diversifizierte ETF-Portfolios setzen. Bemerkenswert ist dabei, dass sich vor allem jene Anbieter positiv hervorheben konnten, die eine aktive Risikomanagement-Komponente in ihre Strategien integriert haben. Diese Kombination aus grundsätzlich passivem Investment-Ansatz und aktivem Risikomanagement scheint sich als besonders erfolgreich zu erweisen.
Die Herausforderungen bei der Kundengewinnung manifestieren sich in konkreten wirtschaftlichen Kennzahlen. Die durchschnittlichen Kundengewinnungskosten bewegen sich zwischen 500 und 800 Euro pro Kunde, was für die Anbieter eine erhebliche Vorleistung darstellt. Diese Investition muss über einen Zeitraum von drei bis fünf Jahren amortisiert werden, was angesichts der oft geringen Margen eine große Herausforderung darstellt.
Besonders problematisch erweist sich die Diskrepanz zwischen den ursprünglich geplanten und den tatsächlich realisierten durchschnittlichen Anlagevolumina. Während die ursprünglichen Geschäftsmodelle von durchschnittlich 50.000 Euro pro Neukunde ausgingen, liegt die Realität mit 15.000 bis 25.000 Euro deutlich darunter. Bei einigen Anbietern werden sogar nur 8.000 bis 12.000 Euro pro Kunde erreicht. Diese geringeren Anlagesummen führen zu deutlich verlängerten Break-even-Zeiträumen.
Ein konkretes Rechenbeispiel verdeutlicht die Problematik: Bei einer Jahresgebühr von 0,8% und einer durchschnittlichen Anlagesumme von 20.000 Euro generiert ein Kunde lediglich 160 Euro Jahresertrag für den Anbieter. Unter Berücksichtigung der laufenden Plattform- und Servicekosten bedeutet dies, dass es fünf bis sieben Jahre dauert, bis ein Kunde profitabel wird. Diese lange Zeitspanne stellt besonders für kleinere Anbieter ohne starke Kapitalbasis eine erhebliche Herausforderung dar.
Die technologische Weiterentwicklung des Robo-Advisory-Segments zeigt sich in verschiedenen Bereichen besonders deutlich. Im Bereich der Künstlichen Intelligenz haben viele Anbieter bedeutende Fortschritte gemacht. Die Implementierung von Machine Learning für die Portfoliooptimierung ermöglicht es, aus historischen Daten und Marktentwicklungen kontinuierlich zu lernen und die Anlagestrategien entsprechend anzupassen. Modern entwickelte Chatbots der neuesten Generation revolutionieren den Kundenservice, indem sie auch komplexe Anfragen kompetent beantworten können. Die Integration von Predictive Analytics erlaubt es, Kundenverhalten vorherzusagen und Anlageentscheidungen zu optimieren.
Im Bereich der ESG-Integration haben viele Anbieter eigene Nachhaltigkeits-Scoring-Systeme entwickelt, die weit über standardisierte ESG-Ratings hinausgehen. Die dynamische ESG-Filterung auf Einzeltitelebene ermöglicht eine präzise Abstimmung der Portfolios auf individuelle Nachhaltigkeitspräferenzen. Dabei können Kunden ihre persönlichen ESG-Kriterien definieren und deren Gewichtung bestimmen.
Die Integration von Digital Assets gewinnt zunehmend an Bedeutung. Verschiedene Anbieter haben begonnen, Kryptowährungen als Beimischung in ihre Portfolios aufzunehmen. Die Entwicklung geht dabei über klassische Kryptowährungen hinaus: Tokenisierte Vermögenswerte ermöglichen die Investition in bisher schwer zugängliche Anlageklassen. Die Implementierung Blockchain-basierter Handelsabwicklung verspricht dabei erhöhte Effizienz und Transparenz.
Die Gebührenstrukturen im Robo-Advisory-Markt haben sich in den vergangenen Jahren deutlich weiterentwickelt. Das klassische Modell basiert auf einer Verwaltungsgebühr zwischen 0,5% und 1,5% pro Jahr, zu der noch die ETF-Kosten von 0,15% bis 0,25% hinzukommen. Viele Anbieter haben dabei eine degressive Staffelung eingeführt, die ab einem Anlagevolumen von 100.000 Euro greift und die Gesamtkosten für vermögendere Kunden reduziert.
Parallel haben sich neue Gebührenmodelle etabliert. Einige Anbieter experimentieren erfolgreich mit Flat-Fee-Ansätzen, bei denen Kunden einen festen monatlichen Betrag zwischen 8 und 25 Euro zahlen, unabhängig vom verwalteten Vermögen. Dieses Modell schafft hohe Transparenz und ist besonders für Kunden mit größeren Anlagevolumina attraktiv.
Innovative Anbieter haben zudem performance-abhängige Komponenten in ihre Gebührenstruktur integriert. Diese kombinieren eine reduzierte Basis-Fee mit einem Erfolgshonorar, das nur bei Überschreiten bestimmter Rendite-Schwellen fällig wird. Dabei kommen häufig High-Watermark-Prinzipien zum Einsatz, die sicherstellen, dass Erfolgsgebühren nur bei echten Wertzuwächsen erhoben werden.
Der deutsche Robo-Advisor-Markt durchläuft aktuell eine fundamentale Transformation, die weit über die ursprünglichen Erwartungen der Branchenpioniere hinausgeht. Die gewonnenen Erkenntnisse der vergangenen Jahre zeichnen dabei ein deutliches Bild: Erfolgreich sind vor allem jene Anbieter, die ihre Kostenstrukturen konsequent optimieren und gleichzeitig ihr Leistungsangebot gezielt erweitern konnten. Besonders die Integration persönlicher Beratungselemente in die digitalen Prozesse hat sich als entscheidender Erfolgsfaktor herauskristallisiert. Die reine Automatisierung, mit der die Branche einst antrat, weicht zunehmend einem hybriden Ansatz, der die Stärken digitaler und persönlicher Vermögensverwaltung intelligent verbindet.
Die Marktentwicklung bis 2026 wird maßgeblich von Konsolidierungsprozessen geprägt sein. Realistischen Schätzungen zufolge wird das verwaltete Vermögen auf 15 bis 20 Milliarden Euro anwachsen – eine beachtliche Summe, die dennoch deutlich hinter den ursprünglichen Erwartungen zurückbleibt. Diese Entwicklung wird von einer zunehmenden Marktkonzentration begleitet: Voraussichtlich werden sich fünf bis sieben dominante Anbieter etablieren, die den Großteil des Marktes unter sich aufteilen. Daneben werden sich spezialisierte Nischenanbieter behaupten können, die sich durch besondere Expertise in spezifischen Anlagesegmenten oder Kundengruppen auszeichnen.
Technologische Innovation wird auch künftig ein zentraler Treiber der Branchenentwicklung bleiben. Die Integration künstlicher Intelligenz, die Verfeinerung der Anlagestrategien und die Entwicklung noch individuellerer Kundenservices werden das Angebot der führenden Anbieter prägen. Gleichzeitig gewinnt das Thema Nachhaltigkeit weiter an Bedeutung – sowohl bei den Anlagestrategien als auch in der gesamten Unternehmensausrichtung der Anbieter.
Die größte Herausforderung für die Branche liegt in der Balance zwischen Standardisierung und Individualisierung. Einerseits erfordern profitable Geschäftsmodelle eine gewisse Skalierung durch standardisierte Prozesse, andererseits erwarten Kunden zunehmend maßgeschneiderte Lösungen. Die erfolgreiche Bewältigung dieses Spagats wird über die Zukunftsfähigkeit der einzelnen Anbieter entscheiden.
Was als revolutionärer Ansatz zur Demokratisierung der Vermögensverwaltung begann, hat sich zu einem etablierten Element der Finanzlandschaft entwickelt. Die kommenden Jahre werden dabei weniger von disruptiven Innovationen geprägt sein, sondern vielmehr von der kontinuierlichen Weiterentwicklung bestehender Geschäftsmodelle. Die Robo-Advisor der Zukunft werden sich dabei vor allem durch ihre Fähigkeit auszeichnen, klassische Finanzexpertise mit digitaler Innovation zu verbinden und dabei stets die sich wandelnden Kundenbedürfnisse im Blick zu behalten. Der Markt mag hinter den anfänglichen Wachstumserwartungen zurückgeblieben sein, hat sich aber als tragfähiges Geschäftsmodell etabliert – wenn auch in einer Form, die zu Beginn der Entwicklung so nicht vorhersehbar war.
Die nächste Entwicklungsphase der Branche wird dabei weniger von der reinen Technologie getrieben sein, sondern vielmehr von der Fähigkeit der Anbieter, echten Mehrwert für ihre Kunden zu schaffen. Dies wird sich nicht nur in der Performance der Anlagestrategien zeigen, sondern vor allem auch in der Qualität der Kundenbeziehung und der Fähigkeit, komplexe Finanzthemen verständlich zu vermitteln. Die Zukunft gehört dabei jenen Anbietern, die es schaffen, Technologie nicht als Selbstzweck zu begreifen, sondern als Werkzeug zur Verbesserung der Vermögensverwaltung für ihre Kunden einzusetzen.
Markus G
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Zuletzt aktualisiert am 15. November 2024 by Redaktion