Frauen und Finanzen: Interview mit Prof. Dr. Niessen-Ruenzi

Frauen und Finanzen sind eine Wissenschaft für sich? Ist dem wirklich so? Ist das Verhältnis von Frauen zu Themen wie Vermögensaufbau, Geldanlage, Altersvorsorge wirklich so schwierig? Warum also nicht einmal bei einer Expertin und Wissenschaftlerin nachfragen, wieviel Wahrheitsgehalt in solchen Aussagen stecken? Und wer könnte bessere Antworten auf solche Fragen geben als eine der renommiertesten Expertinnen zu diesen Themen – Frau Alexandra Niessen-Ruenzi.

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Julia F.

Zuletzt aktualisiert am: 17. Juli 2023

Interview - Frauen und Finanzen

17. April 2019

Alexandra Niessen-Ruenzi hat an der Universität Mannheim den Lehrstuhl für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Corporate Governance inne und forscht seit 2006 zu „Gender and Finances“. Selbst Anlegerin lehrt sie nicht nur und forscht, sie ist auch als Expertin begehrte Interview-Partnerin, wenn es um Frauen und Finanzen geht. So hat sie bei ihren Studien zum Beispiel herausgefunden, dass Frauen nicht nur die erfolgreicheren Anlegerinnen sind, sondern auch die besseren Fondsmanagerinnen. Ihre Forschungsergebnisse belegen unter anderem, dass von Frauen gemanagte Fonds weniger volatil sind. Grund genug für uns, bei der Spezialistin für geschlechtsspezifisches Verhalten am Kapitalmarkt einmal genauer nachzuhaken.

Im Gespräch mit Prof. Dr. Niessen-Ruenzi zu Frauen und Finanzen

Frauen und Finanzen - Interview mit Frau Prof Dr Niessen Ruenzi
Frauen und Finanzen – Interview mit Prof Dr. Niessen Ruenzi, Forscherin und Expertin mit Schwerpunkt “Geschlechtsspezifisches Verhalten am Kapitalmarkt”

Sie forschen seit über 10 Jahren im Bereich „Geschlechter und Finanzen“. Was hat den Anstoß gegeben, sich ausgerechnet mit diesem und angrenzenden Themen auseinanderzusetzen?

Ich finde das Thema “Geschlechter / Frauen und Finanzen” gesellschaftlich relevant, insbesondere vor dem Hintergrund des höheren Risikos der Altersarmut, dem Frauen durch verschiedene Gründe ausgesetzt sind. Laut statistischem Bundesamt liegt dieses bei Frauen über 65 um ein Viertel höher als bei Männern dieser Altersgruppe. Ich hatte den Eindruck, dass mehr wissenschaftliche Forschung in diesem Bereich vielleicht helfen kann, die Gründe hierfür zu finden und gegenzusteuern.

Was macht für Sie den Reiz an Ihrem Forschungsgebiet aus?

Ich habe mich immer schon gefragt, warum das aus meiner Sicht so spannende Themenfeld der Funktionsweise von Kapitalmärkten, sowie des Agierens an diesen Märkten, ein so männerdominiertes Feld ist. Ich wollte zunächst verstehen, was Frauen zurückhält sich mit dem Thema Geldanlage / Vermögensaufbau zu befassen.

Es war für mich faszinierend, die verschiedenen Facetten dieses Themas zu beleuchten und zu entdecken, wie sich innerhalb einer Gesellschaft bestimmte Normen entwickeln, nach denen Beispielsweise im Standardfall innerhalb eines Haushalts der Mann die Finanzentscheidungen trifft.

Im nächsten Schritt möchte ich nun versuchen, mehr Frauen für dieses Thema zu sensibilisieren, wenn nicht zu begeistern, da es wirklich wichtig ist, sich kompetent um die eigenen Finanzen kümmern zu können.

Um sich diese Kompetenz anzueignen, gibt es ja verstärkt spezielle Angebote für Frauen. Der Besuch eines Seminars, der Download einer Wissens-App wie die der Finanzheldinnen (comdirect), Bücher und Blogs lesen – das kann alles ein guter Anfang sein. Aber befähigen solche einmaligen Workshops und Lektüren Frauen wirklich dazu, gleich selbst Geld anzulegen?

Ja, natürlich. Es gibt ein paar einfache Regeln, derer man sich bewusst sein sollte und dafür reicht ein Workshop völlig aus. Es geht ja nicht darum, jede Frau zur Finanzexpertin zu machen. Das Ziel ist in erster Linie doch, Frauen zu befähigen, dass sie sich um die eigene Geldanlage und den Vermögensaufbau kümmern können.

Was halten Sie im Hinblick darauf von speziellen Beratungsangeboten für Frauen? Ist das vielleicht doch nur ein Trendzug, auf den Banken nach und nach aufspringen, um die Kundengruppe „Frau“ anzuwerben?

Ich würde das nicht als Trendzug bezeichnen, sondern als eine wichtige gesellschaftliche Entwicklung und eher fragen, warum diese Kundengruppe bisher so vernachlässigt wurde.

Darum finde ich es gut, dass Finanzberater verstärkt die Kundengruppe der Frauen in den Fokus nehmen, da die bisherige Forschung zeigt, dass Männer hier deutlich besser und ausführlicher beraten werden, als Frauen.

Ein spezielles Beratungsangebot mit eigenen Produkten braucht es meines Erachtens nicht, da die Gesetze der Kapitalmärkte unabhängig vom Geschlecht eines Investors gelten und die Grundregeln sich nicht für Frauen oder Männer unterscheiden.

Könnten spezielle Kapitalanlage-Angebote für Frauen den ohnehin in der Finanzbranche vorherrschenden Gender-Bias nicht auch noch zusätzlich verstärken?

Eine verstärkte Ansprache, die darauf abzielt, eventuelle Berührungsängste abzubauen, halte ich für positiv. Ich sehe nicht weshalb sich hierdurch ein Gender-Bias verstärken sollte. Wenn es selbstverständlicher wird, dass auch Frauen Finanzberatung in Anspruch nehmen, sich dadurch mehr mit dem Thema beschäftigen und es auch in Konversationen mit ihren Peers einbringen, dann denke ich, dass sich hier in der Tat etwas nachhaltig verändern kann.

Welche Maßnahmen würden Sie – als Anlegerin, Professorin und Forscherin – an Geldanlage und Vermögensaufbau interessierten Frauen empfehlen, bevor sie ihr hart verdientes Geld auf Basis von Halbwissen investieren?

Die Antwort hängt natürlich vom Ausgangszustand und dem Anlageziel ab. Machen Sie sich bewusst Gedanken über Ihre Risikobereitschaft und finden Sie heraus, welche grundsätzlichen Anlagemöglichkeiten es gibt. Dann ist der erste große Schritt schon getan. Grundsätzlich gilt:

  • Investieren Sie ein wenig Zeit, um sich mit dem Thema vertraut zu machen. Informieren Sie sich zuerst ausführlich selbst und verlassen Sie sich nicht blind auf Anlageempfehlungen.
  • Finden Sie zunächst heraus wieviel Kapital Sie ohne Bedenken und nach Abzug des sogenannten Notgroschens investieren können. Investieren Sie nur solche Beträge riskant, von denen Sie sicher sind, sie nicht kurzfristig zu benötigen.
  • Diversifizieren Sie und minimieren Sie die Transaktionskosten – zum Beispiel durch Anlage in einen breit gestreuten, weltweit anlegenden, kostengünstigen ETF.

Es kommt ja nicht selten vor, dass die Scheu bei Frauen trotz aller Ratschläge noch zu groß ist, als dass sie einen Anlageberater aufsuchen, der sie vielleicht als „zu blöd“ wahrnehmen könnte. Etwa, weil sie viele Fragen stellen und genauer nachhaken. Was können Sie in solch einer Situation empfehlen?

Machen Sie sich bewusst, dass Ihnen (und Ihrer Familie) im Alter voraussichtlich wesentlich weniger Geld zur Verfügung stehen wird, wenn Sie sich nicht mit dem Thema beschäftigen und inaktiv bleiben.

Gerade in der andauernden Niedrigzinsphase, wie wir sie derzeit erleben, ist es wichtig, sich mit den verfügbaren Anlagemöglichkeiten, deren Renditen, und deren Risiken zu befassen. Sind Sie wirklich bereit, auf Geld zu verzichten, nur weil ein Anlageberater sie „blöd“ finden könnte?

Eigentlich gibt es für Frauen auch keinen Grund, so unsicher zu sein. Denn immer wieder belegen Untersuchungen, dass Frauen die erfolgreicheren Anlegerinnen sind. Sie haben nun herausgefunden, dass Frauen auch als Fondsmanagerinnen ihren Mann stehen – oft sind von Frauen gemanagte Fonds weniger volatil…

Wir haben herausgefunden, dass die Performance weiblich und männlich gemanagter Fonds sich nicht grundsätzlich voneinander unterscheidet. Allerdings streut die Performance männlicher Fondsmanager mehr – sie schneiden häufiger extrem gut oder extrem schlecht ab, was sich dann im Mittel ausgleicht. Dies liegt daran, dass männliche Fondsmanager häufiger von ihrer Benchmark abweichen und eigene Ideen verfolgen. Das geht mal gut, und mal funktioniert es nicht.

Sollte das nicht ein Anreiz sein, sich vor dem Investieren in Fonds damit auseinanderzusetzen, von wem das Investment später gemanagt wird? Das würde der durchschnittlichen Risikobereitschaft gerade von Frauen doch entgegen kommen?

Tatsächlich scheinen männliche Anleger zumindest zum Zeitpunkt der Geldanlage auch das Geschlecht des Fondsmanagers in ihre Entscheidung einzubeziehen. Die Präferenz scheint hier eben nur zu sein, dass der Fondsmanager männlich sein sollte.

Bei weiblichen Anlegerinnen konnten wir eine ähnliche Präferenz übrigens nicht feststellen – Frauen machen keinen Unterschied zwischen männlich und weiblich verwalteten Fonds.

Dennoch wird in von Frauen verwaltete Fonds rund 15 Prozent weniger investiert, als in die von männlichen Fondsmanagern. Ist dieser Gender-Bias deshalb so ausgeprägt, weil die Investment-Welt noch immer eine männliche Domäne ist?

Ja, das ist einer der Haupteinflussfaktoren, den wir in der Studie isolieren. Trotzdem sind die niedrigeren Zuflüsse in weiblich verwaltete Fonds natürlich überraschend. Meine experimentellen Studien haben hier gezeigt, dass es tatsächlich große Vorbehalte gegenüber Frauen als Vermögensverwalter – insbesondere unter Männern – gibt. Die meisten scheinen männliche Fondsmanager zu bevorzugen.

Kann man sagen, dass es im Anlage-Verhalten von Investorinnen und dem Verwaltungsmanagement von Frauen Überschneidungen gibt?

Ja, Frauen handeln in der Regel weniger als Männer. Dieser Befund zeigt sich sowohl im professionellen Fondsmanagement, als auch bei Privatanlegern.

Dieses Verhalten gilt als einer der Schlüsselfaktoren, weshalb sich Frauen oft als erfolgreichere Anlegerinnen hervortun, als Männer. In der Welt vom Oktober 2015 wurde sogar herausgestellt, dass Frauen über 70 die besten Anlegerinnen seien. Wie lässt sich das erklären, woran festmachen?

Ich würde vermuten, dass ältere Frauen noch weniger handeln, als jüngere Frauen – und wir wissen aus einer Reihe von Forschungspapieren, dass häufiges Handeln der Performance schadet. Grundsätzlich gehe ich allerdings davon aus, dass die Anzahl an weiblichen Anlegerinnen über 70 im der Studie zugrunde liegenden Datensatz vermutlich relativ gering ist und es insofern schwer ist, statistisch verlässliche Aussagen zu treffen. Fest steht aber, dass es in einem Alter über 70 sehr riskant ist, noch in Aktien oder ähnlich volatile Anlageprodukte zu investieren.

Nun ist das Anlage-Verhalten, wenngleich wohl der markanteste, längst nicht der einzige Faktor, in dem sich Frauen und Männer bei Investments unterscheiden. Auch bei der Wahl der Investmentprodukte interessieren sich Frauen häufiger für ethische und faire Fonds und Aktien. Haben Sie Erkenntnisse darüber, woher dieses Interesse speziell von weiblichen Anlegern an derlei Finanzprodukten rührt?

Es gibt ein paar Studien, laut derer Frauen mehr Wert auf die Einhaltung ethischer Standards legen, als Männer. Diese sind zwar methodisch nicht unumstritten. Sie könnten aber erklären, warum Frauen auch im Finanzbereich mehr Wert auf faire Investments legen.

Gibt es Merkmale, an denen sich nachhaltige Investmentprodukte von Green-Washing oder sonstigen Blendern (durch den Namen etwa) unterscheiden lassen?

Jeder kann nachhaltige Investmentprodukte, denke ich, leicht erkennen, da diese mit ihrer Nachhaltigkeit werben (z.B. SRI Fonds), und versuchen, diesen Aspekt sichtbar zu machen. Es gibt auch externe Validierungen des tatsächlichen ethischen oder sozialen Gehalts von Anlageprodukten.

Sie werfen in Ihren Forschungen und Untersuchungen ja immer auch einen Blick auf internationale Märkte, vor allem auch die USA. Dort ist besonders die private Altersvorsorge durch Fonds und Aktien ja schon sehr viel verbreiteter, als in Deutschland. Gibt es demnach auch Unterschiede im Anlageverhalten im internationalen Vergleich?

Keine, die mir im Hinblick auf das Geschlecht der Anleger bekannt wären. Generell ist die Teilnahme  am Aktienmarkt in Deutschland sehr gering, während US-Amerikaner auch im Hinblick auf die Altersvorsorge gewillter sind, in Aktien bzw. Aktienfonds zu investieren. In der Regel findet man die Ergebnisse aus amerikanischen Studien aber auch für europäische Industrieländer bestätigt.

Ist in anderen Ländern Wissen um Finanzprodukte und Aktienmärkte bei Privatanlegern und Investoren ausgeprägter, als hier?

Das lässt sich nicht so einfach beantworten, da es in diesem Bereich kaum Mikrodaten gibt, die einen fairen Vergleich über Landesgrenzen hinweg erlauben. Ein Versuch in dieser Richtung stellt der S&P Global Survey on Financial Literacy dar. Hier findet man beispielsweise, dass das Finanzmarkt-Wissen in skandinavischen Ländern, insbesondere in Norwegen, höher ist als in Deutschland, und der Gender Gap kleiner. Diese Länder zeichnen sich auch in anderen Bereichen der Gleichstellung der Frau als fortschrittlich aus, so dass es nicht überrascht, dass sie auch im Bereich Finanzmarkt-Wissen kleinere geschlechtsspezifische Unterschiede aufweisen.

Können deutsche Frauen von Anlegerinnen im Ausland etwas lernen?

Sie können lernen, dass das Thema Geldanlage und Finanzplanung ein wichtiger Bestandteil des Alltags sein sollte, dem man sich regelmäßig widmen sollte.

Es scheint, das man deutschen Frauen Investments und Geldanlage immer aufs Neue schmackhaft machen muss – etwa, indem man sie daran erinnert, das Nichtstun das Risiko der Altersarmut erhöht. Es scheint sich nur langsam etwas zu ändern. Haben Sie denn, in den über 10 Jahren, in denen Sie bereits im Bereich „Gender and Finance“ forschen, Veränderungen feststellen können?

Absolut. Während das Thema in den ersten Jahren meiner Forschung zu den „Exoten-Themen“ gehörte, gibt es nun einen wesentlich größeren Forschungszweig, der sich mit „Gender and Finance“ beschäftigt, was sich beispielsweise auch in den Programmen wissenschaftlicher Fachtagungen widerspiegelt.

Werden Frauen Geld und Investments gegenüber aufgeschlossener oder mutiger?

Ich hoffe es. Zumindest hat das Thema “Frauen und Finanzen” mehr öffentliche Aufmerksamkeit als früher und ich hoffe, das dies einen gesellschaftlichen Wandel zur Folge hat.

Frauen und Finanzen – Fazit

Wir freuen uns sehr, dass Frau Prof. Dr. Niessen-Ruenzi sich die Zeit genommen hat, unsere Fragen zu beantworten und uns Ihr spannendes Studiengebiet ein wenig näher gebracht. Auf das es unsere Leserinnen und (männlichen Leser natürlich auch) inspirieren möge, die Scheu vor Geld, Vermögensaufbau, Investments und dem Kapitalmarkt abzulegen.

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Julia F.

Julia F.

Julia ist unsere Spezialistin im Bereich “Frauen und Geldanlage”. Selbst als Quereinsteigerin in die Finanz-Szene gestartet, setzt sie sich bei uns mit den typischen Fragen und Unsicherheiten von Frauen beim Thema Geldanlage und Vermögensaufbau auseinander. Und sie spricht aus Erfahrung, denn sie ist mittlerweile selbst erfolgreiche Anlegerin. Julia gewährt uns mit ihren Beiträgen einen Einblick in die weibliche Welt der Geldanlage und des Vermögensaufbaus.

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